Ausbildung von Ärzten, Zahnärzten und Apothekern für die bewaffneten Organe der DDR
Anfänge der Ausbildung - Die Studentenkompanie in Leipzig
P. Rausch
Im Sommer 1952 wurden in Leipzig alle Studenten der DVP, die ABF-Studenten, die Medizin- und die Pharmaziestudenten der Karl-Marx-Universität und Abiturienten, die sich zum Dienst in der KVP verpflichtet hatten, zur Studentenkompanie zusammengefasst.
Zur Kompanie gehörten im Einzelnen:
  1. Medizin- oder Pharmaziestudenten, die seit Anfang 1950 für die VP geworben wurden und als VP-Angehörige ein Studium aufgenommen oder fortgesetzt hatten.
    Die Zahl dieser zuvor zivilen, für die VP bzw. KVP geworbenen Studenten stieg in den Jahren nach Gründung der Kasernierten Volkspolizei deutlich an
  2. Absolventen des 1. und 2. Feldscherlehrgangs, die die Hochschulreife besaßen und nach Abschluss des Lehrgangs ein Studium aufnahmen.
  3. Studenten der ABF, die im Sommer 1951 und im Dezember 1952 einen Feldscherlehrgang absolviert und 1953 bzw. 1954 die Hochschulreife erlangt hatten. Einige VP-Angehörige hatten die Hochschulreife über eine Sonderreifeprüfung erworben (F. Gelbke, R. Hetmanek, L. Peter, R. Rehe und H. Schneider).
  4. Oberschüler, die 1953 und 1954 die Hochschulreife erlangt und sich zum Dienst in der KVP verpflichtet hatten.
Im Sommer 1955 wurde die gesamte Studentenkompanie zur Dienststelle III der KVP in Greifswald, der späteren Militärmedizinischen Sektion kommandiert. Danach wurde sie aufgelöst.
Bereits 1950 wurden Medizin- und Pharmaziestudenten der Karl-Marx-Universität Leipzig und der Universitäten Jena und Rostock für die Volkspolizei gewonnen.
Die Bereitschaft, Angehöriger der Volkspolizei zu werden, war zu dieser Zeit unter den zivilen Studenten sehr marginal ausgeprägt. Es waren zunächst nur etwas mehr als 10 Studenten, die nach dem Eintritt in die Volkspolizei ihr Studium ohne Unterbrechung fortsetzten. So berichtet Manfred Schad in einem Brief an Rolf Rehe (1), dass im August 1950 die Studenten der Medizin Harald Hunger, Harry Hartmann, Rolf Gläsel, alle im 5. Semester, und er selbst als cand. med. im 7. Semester durch VP Oberkommissar Karl-Heinz Kelch für die Deutsche Volkspolizei geworben wurden. Auf einem Treffen im VP-Krankenhaus Leipzig unterschrieben sie in Gegenwart von VP-Inspekteur Dr. Mehlmack und VP-Oberrat Dr. Geiger einen Vertrag, in dem sie sich zu 10 Jahren Dienst in der VP verpflichteten. Zu den ersten Studenten, die in den Jahren 1950 und 1951 für einen Dienst in der Deutschen Volkspolizei geworben wurden, gehörten außer Manfred Schad, Harald Hunger, Harry Hartmann und Rolf Gläsel auch Wilhelm Goetzel, Kurt Hergert, Alfred Krause, Walter Pössel, Gerhard Schmeißer und Edgar Steiner (2).
Auf dem IV. Parlament der Freien Deutschen Jugend (FDJ), das vom 27. bis 30. Mai 1952 in Leipzig stattfand, übernahm die FDJ die Patenschaft über die Volkspolizei. Angesichts der zunehmenden Aufrüstung in der Bundesrepublik folgten Tausende Mitglieder der Freien Deutschen Jugend, darunter viele Abiturienten aus Oberschulen diesem Aufruf und verpflichteten sich zum Dienst in Dienst in der Kasernierten Volkspolizei. Sie verstanden ihren zukünftigen Dienst in der KVP als patriotische Pflicht gegenüber ihrem Vaterland. Etliche begannen als Offiziersschüler der KVP ein Medizin- oder ein Pharmaziestudium an der Universität Leipzig. Sie wurden der Studentenkompanie zugeordnet. Die ehemaligen ABF-Studenten und die Abiturienten des Jahrgangs 1953 bildeten den Stamm des späteren 3. Lehrgangs der Militärmedizinischen Sektion.
Die Studentenkompanie hatte zu Beginn eine Stärke von etwa 25 VP-Angehörigen, sie hatte zu keiner Zeit die Personalstärke einer Kompanie und war anfangs auch nicht militärisch strukturiert. Die Studenten trugen die damals in der DVP verwendete dunkelblaue Uniform mit dunkelblauem Hemd und rotem Schlips.
Am 16. Juni 1952 wurden die Einrichtungen der HVA in Einrichtungen der Kasernierten Volkspolizei überführt. Damit verbunden war die Einführung der neuen, khakifarbenen Uniform der KVP. Die Polizeidienstgrade wurden in militärische Dienstgrade umgewandelt, der Kommissar wurde zum Unterleutnant, der Oberkommissar zum Leutnant. Sie unterstanden nun dem Minister des Innern, Willy Stoph. Chef der KVP wurde am 01. Juli 1952 Heinz Hoffmann, als Stellvertreter des Chefs des Medizinischen Dienstes der KVP wurde Dr. Karl Gelbke eingesetzt (3).
Militärischer Vorgesetzter der Studentenkompanie war VP-Oberkommissar Lesche, ihm folgte VP-Kommissarin Eckardt, eine ehemalige Oberlehrerin. Als Leutnant Eckardt übernahm sie Mitte 1954 eine andere Funktion.
Die monatlichen Dienstbezüge der Studenten betrugen in Abhängigkeit vom Dienstgrad etwa 300 Mark.
Ein militärisch organisierter Tagesablauf war unter den Bedingungen einer dislozierten Unterbringung der Angehörigen und der Spezifik eines Universitätsstudiums nicht möglich. Die Heimleiter als militärische Vorgesetzte hatten viel Verständnis für die Studenten, jeder konnte sein Studium individuell regeln. Die militärische Ausbildung beschränkte sich auf gelegentliche Dienstversammlungen und auf Elemente der militärischen Grundausbildung, Schießausbildung und auf den Dienstsport. Lediglich an staatlichen Feiertagen, wie dem 1. Mai, marschierte die Studentenkompanie in Kolonne innerhalb des Demonstrationszuges durch Wiederitzsch. Auch von der Unterkunft zur Endstation der Straßenbahn in Wiederitzsch wurde in Formation marschiert. Von dort brachte ein Sonderzug der Straßenbahnlinie 16, der für die Studenten gechartert wurde, die Studenten zu den Lehrveranstaltungen ins Zentrum der Stadt. Einige Angehörige der Kompanie begannen 1953 bzw. 1954 ein Studium an der Militärmedizinischen Akademie "S.M. Kirow in Leningrad" (W. Götzel, K. Hergert, F. Hippe, E. Kallenbach, W. Kempf, W. Krause, H. Michel, R. Rehe, G. Rehwald, G. Schmeißer, R. Schwarzer, E. Steiner).
In den Jahren 1951 und 1952 kamen aus den Bereitschaften der Volkspolizei noch ungefähr 10 bis 20 Studenten zur Studentenkompanie hinzu. Danach hatte sie eine Stärke von etwa 60-70 Studenten (4).
Weil die Unterkunft in der Graefestraße nun zu klein geworden war, wurde der Studentenkompanie eine neue Unterkunft in der Döllnitzer Straße 9 zugewiesen, eine geräumige, sehr gut ausgestattete Villa, die vor dem II. Weltkrieg dem Leipziger gehörte.

Wohnheim der Studentenkompanie Döllnitzer Straße 9(1951)
Heute Lumumbastraße 9

Ehemaliges Wohnheim der Studentenkompanie Lumumbastraße 9
im Jahre 2018
Die Studenten wohnten zu zweit oder zu dritt in einem Zimmer. Im Unterschied zur Graefestraße gab es in diesem Wohnheim auch eine Küche, in der eine sehr gute Köchin ("Mutter Boblitz") dafür verantwortlich war, dass die Studenten ganztägig gut versorgt waren. Nach Eintritt weiterer Abiturienten im Sommer 1953 in die KVP reichte auch der Wohnraum in der Döllnitzer Straße nicht mehr aus.
In einem Wohnhaus auf dem Gelände des Mitteldeutschen Rundfunks in der Springerstraße Nr. 22 wurde ein Gebäude zusätzlich als Wohnheim für die neuen Angehörigen der Studentenkompanie eingerichtet.
Die Versorgung der Studenten wurde nun in einem kleineren Gebäude in der Richterstraße Nr.6 sichergestellt. Dieses Gebäude verfügte über eine Küche und einen Speisesaal. Hier hatten zudem auch die Studentinnen und einige wenige Studenten (Klaus Langbein u.a.) Unterkunft gefunden. Döllnitzer Straße 9, Springerstraße 22 und Richterstraße 6 blieben bis zur Auflösung der Studentenkompanie im Jahre 1955 Wohnheime für KVP-Angehörige.
Die Döllnitzer Straße 9 war das Zentrum für die Studentenkompanie, hier befand sich die Leitung der Kompanie, hier wurden alle Versammlungen durchgeführt. Kompaniechef war bis 1953 Oberleutnant Lesche, anschließend Frau Oberleutnant Eckardt.

v. .l. Leutnant Hermann Michel, sowj. Berater, Oberleutnant Eckardt
Die Ausbildung an der Universität unterschied sich nicht von der der Zivilstudenten. Vorphysikum nach 2 Semestern, nach dem 4. Semester wurde das Physikum abgelegt, nach 10 Semestern das Staatsexamen. Famulaturen wurden hauptsächlich in den Semesterferien absolviert. Nach dem Staatsexamen musste die einjährige Pflichtassistenz abgeleistet werden, danach erteilte der Amtsarzt die Approbation, d.h. die staatliche Genehmigung zur Ausübung einer Tätigkeit als Arzt oder Apotheker.
Im Sommer 1955 wurde die Studentenkompanie nach Greifswald versetzt, wo die Angehörigen ihr Studium an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität fortsetzten.
Nach Aussagen von Zeitzeugen gehörten mehr als 100 männliche und weibliche Offiziersschüler und Offiziershöhrer dieser Studentenkompanie an. Eine namentliche Aufstellung mit 83 Angehörigen dieser Kompanie befindet sich im Archiv des Autors


Literatur
(1) im Besitz des Autors
(2) Diese Darstellung ist im Wesentlichen Ergebnis einer Vielzahl von Telefoninterviews des Autors mit Prof. Dr. med. habil. Hannsgeorg Hüller, PhR Hannsgeorg Löhr, Dr. med. Heinz Schneider, und Dr. med. Hermann Herzog
(3) Lemmens, Franz-L, Karl Gelbke. Biographie eines antifaschistischen Arztes, Gesundheitspolitikers, Militärarztes und Hochschullehrers. Dissertation A zur Erlangung des akademischen Grades Doktor der Philosophie, Leipzig 07.05.1984, S. 118 - 120 Kurzbiografie Oberst OMR Prof. Dr. Karl Gelbke (1899-1965)
Karl Gelbke wurde am 09.07.1899 geboren und entstammte einer alteingesessenen Arztfamilie aus Rochlitz/Sa.
Nach seiner Teilnahme am I. Weltkrieg studierte er in Leipzig Medizin, wurde dort auch promoviert und führte ab 1928 im Leipziger Norden eine sehr große kassenärztliche Praxis. Deren Lage und Beschaffenheit machte es ihm möglich, ab 1933 am antifaschistischen Widerstand teilzunehmen. Trotz der 25 Verhöre und Haussuchungen durch die Gestapo gelang es ihm, die von ihm geleitete Widerstandsgruppe ohne menschliche Verluste erfolgreich bis zum Ende der Zeit des NS zu führen.
In enger Zusammenarbeit mit dem Leipziger Dominikanerpater Aurelius Arkenau ("Gerechter unter den Völkern") rettete er viele der von diesem in der Pfarrei Versteckten, durch die Bereitstellung von Geld und durch seine ärztliche Hilfe.
In der Nacht vor dem Überfall auf die Sowjetunion entwickelte er, zusammen mit anderen Leipziger Ärzten jene Vorstellungen für ein demokratisches Gesundheitswesen, die nach dem Kriege in Leipzig weitgehend realisiert werden konnten, als er dort zum Stadtrat für das Gesundheitswesen berufen worden war. Zu diesen Ärzten gehörte auch sein künftiger Schwiegersohn, der spätere Oberst OMR Prof. Dr. Kurt Steude(1914-2000), Leiter des Instituts für Luftfahrtmedizin der NVA in Königsbrück. Ab 1948 wurde er stellvertretender Minister für Arbeit und Sozialfürsorge der Landesregierung Sachsen, bis er 1952 zum Professor mit Lehrauftrag und Direktor des Institutes für Sozialhygiene an die Universität Leipzig berufen wurde. Er zählt zu den Vätern der Sozialhygiene in der DDR. Als Oberst trat er am 01.04.1955 seinen Dienst als Stellvertreter des Chefs der Medizinischen Verwaltung der KVP an. Nach einem Dienstunfall musste er diesen aufgeben und wurde am 15.09.1958 in die Reserve versetzt. Am 16.09.1958 wurde er zum Ärztlichen Direktor der Medizinischen Fakultät der "Karl-Marx-Universität" Leipzig berufen und am 01.09.1964 emeritiert. Immer noch mit der Universität verbunden, erlag er am 27.01.1965 auf dem Weg dorthin einem Herzinfarkt. Ihm zu Ehren wurde per Ratsbeschluss 1968 die Münsterstraße in Gelbkestrasse umbenannt und in das Straßenverzeichnis aufgenommen. Am 14.07.1999 beschloss die Ratsversammlung im Ergebnis kontroverser Diskussionen um die Person Gelbkes die Straße umzubenennen, ohne sofort einen Namen festzulegen. Erst am 12.07.2000 wurde sie in Kippenbergstraße, nach Prof. Dr. A. Kippenberg, einem Leipziger Verleger, umbenannt. (In den Sachbüchern zur Strassengeschichte wird das Unverständnis für dieses Vorgehen ausgedrückt).
(4) Zeitzeugenaussage Hüller, H.
Bilder:
Wohnheim der Studentenkompanie Döllnitzer Straße 9(1951) (Privat)
Ehemaliges Wohnheim der Studentenkompanie Lumumbastraße 9 im Jahre 2018 (Privat)
v. l. Leutnant Hermann Michel, sowj. Berater, Oberleutnant Eckardt (Privat)