Die Aus- und Weiterbildung militärmedizinischer Hochschulkader an der Militärmedizinischen Akademie "S. M. Kirow" in Leningrad
Erste Gruppe 1953 bis 1959
R. Rehe

Die Auswahl der Teilnehmer für das Studium in Leningrad erfolgte auf der Grundlage eines Befehls des Innenministers Willy Stoph.
Zu dieser Gruppe gehörten die Feldschere Willi Henning, Fred Hippe, Erich Kallenbach, Wilfried Kempf und Reinhold Pitzuch; die ABF-Studenten Hermann Michel, Gerhard Rehwald und Rudolf Schwarzer sowie die Studenten der Leipziger Universität Rolf Rehe und Gerhard Schmeißer.
1954 kamen vier weitere deutsche Studenten hinzu: die Leutnante Wilhelm Götzel, Kurt Hergert, Werner Krause und Edgar Steiner. Sie hatten bereits in der DDR das Medizinstudium begonnen und wurden nach einem gemeinsamen Vorbereitungslehrgang in der DDR 1954 nach Leningrad kommandiert.
Insgesamt nahmen 14 Studenten der KVP bzw. der NVA ein Medizinstudium auf, von denen 11 die Ausbildung erfolgreich beendeten, drei Kursanten konnten das Studium aus unterschiedlichen Gründen in Leningrad nicht beenden.




VP-Kommissar Rolf Rehe
Ein Student erinnert sich - Rolf Rehe

Ein wichtiges Kapitel beim Aufbau des medizinischen Dienstes der NVA stellte die Ausbildung von militärmedizinischen Hochschulkadern dar. Diese erfolgte neben dem Medizinstudium an der Universität Leipzig und später an der Militärmedizinischen Sektion der EMAU Greifswald auch an der mit dem Leninorden ausgezeichneten Militärmedizinischen Akademie "S. M. Kirow" (VMOLA) in Leningrad.
Dazu wurde eine Gruppe von Feldscheren sowie Studenten an der Leipziger Universität und der Leipziger ABF nach einem mir unbekannten Auswahlverfahren zusammengestellt und zum Medizinstudium nach Leningrad delegiert.
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Kirow-Akademie Leningrad
Wir waren die ersten und einzigen Studenten mit einem vollen bzw. kompletten Ausbildungsprogramm.

Wir kannten uns zuvor zum Teil gar nicht und trafen uns das erste Mal bei der Verabschiedung aller Militärstudenten der KVP durch Armeegeneral Stoph, Minister des Inneren, am 5. Dezember 1952 in Berlin-Adlershof, im späteren Fernsehzentrum der DDR.
Diese Reise in eine hoffnungsvolle Zukunft traten nach der Verabschiedung an:
  • Die Feldschere Willi Henning, Fred Hippe, Erich Kallenbach, Wilfried Kempf und Reinhold Pitzuch,
  • die ABF-Studenten Hermann Michel, Gerhard Rehwald und Rudolf Schwarzer,
  • die Studenten an der Leipziger Universität Rolf Rehe und Gerhard Schmeißer.
Für alle Aufgeführten, außer Hippe und Rehe, war das militärmedizinische Studium festgelegt. Letztere (Hippe Drogist, Rehe Pharmaziestudent) sollten anfänglich das militärpharmazeutische Studium aufnehmen. Aufgrund der kurz zuvor erfolgten Schließung der militärpharmazeutischen Bildungseinrichtung erklärten sich dann beide zur Aufnahme des Medizinstudiums in Leningrad bereit.
Wir gehörten zur "Sonderfakultät für Auslandsstudenten", der 5. Fakultät an der VMOLA, in der ebenfalls die Militärstudenten und Militärärzte aller anderen sozialistischen Staaten und später auch aus Ländern der 3. Welt vertreten waren. Wir waren gemeinsam in einem Wohnheim untergebracht und hatten ein sehr gutes Verhältnis zu den anderen ausländischen Studenten aus Albanien, Bulgarien, China, der CSSR, der Mongolei, aus Polen, Rumänien, Ungarn und Vietnam.
Für uns Studenten begann nun eine schwere Zeit. In Vorbereitung auf das Studium mussten große Unterschiede in den Kenntnissen der russischen Sprache überwunden und allgemeine Wissenslücken ausgeglichen werden. Die Feldschere hatten erst einmal das Abitur nachzuholen; dazu kam das unterschiedliche Wissensniveau der Studenten der ABF und der Universität. Michel, Rehe, Rehwald, Schmeißer und Schwarzer kamen aus der Studentenkompanie der KVP. Henning, Hippe, Kallenbach, Kempf und Pitzuch waren bereits als Feldschere in den bewaffneten Kräften der DDR tätig gewesen. Die erste und wichtigste Aufgabe, die mehr oder weniger intensiv angegangen wurde, war das Erlernen der russischen Sprache, denn der gesamte spätere Unterricht (Vorlesungen, Seminare und Konsultationen) erfolgte nur in Russisch. Deshalb wurde auch großer Wert auf den Kontakt zur einheimischen Bevölkerung gelegt. Am Anfang verstanden wir alle fast gar nichts (waren meist nur mit Schulkenntnissen der russischen Sprache ausgestattet). Lediglich Kallenbach kamen seine Sprachkenntnisse aus der Kriegsgefangenschaft zugute.
Der wohlgemeinte Rat und die Empfehlung des sowjetischen Betreuungspersonals (Lehrer wie neue militärische Vorgesetzte), sich auch außerhalb des Unterrichtes, besonders aber während der Vorbereitungszeit auf das Studium in der Landessprache zu unterhalten, wurde von uns erst viel später richtig verstanden, aber nie konsequent befolgt. Um uns den Eintritt in ein völlig neues Umfeld zu erleichtern und uns einen besseren Überblick über die auf uns einstürmenden ungewohnten Alltagsprobleme zu verschaffen, hatte ein polnischer Militärarzt in den ersten 14 Tagen unsere Betreuung übernommen. Die Dienstgrade unserer Studenten waren nach außen hin nicht erkennbar.

Vorbereitungszeit 1953

Im ersten Jahr trugen wir eine neutrale Uniform ohne Kokarde bzw. Nationalitätenkennzeichnung und ohne Schulterstücke, später dann die Uniform der KVP und ab 1956 die der NVA. Letztere hat uns manche Unannehmlichkeiten, besonders bei der Jugend eingebracht. Hinzu kam noch, daß alles, zumindest die Vorbereitungszeit auf das eigentliche Studium, streng geheim gehalten wurde. Wir bekamen für den Briefwechsel mit unseren Verwandten und Bekannten eine zentrale Anschrift in Berlin, und diese war auch gleichzeitig unser Absender. Der Postverkehr wurde über einen zentralen Kurierdienst reguliert und die Privatpost der Studenten im öffentlichen Leben ganz exakt überwacht und kontrolliert. Die Betreuung bzw. Kontrolle in Leningrad oblag dem Militärattaché der DDR in Moskau, Oberst Loberger, während in der Heimat dies durch Major Dr. Maria Lobe aus der Medizinischen Verwaltung im Ministerium des Inneren wahrgenommen wurde.
Nach Abschluss der neunmonatigen Vorbereitungszeit auf das Studium ergaben sich folgende Veränderungen:
  • Die beiden Feldschere Henning und Pitzuch erkannten ihre Bildungs- bzw. Wissensgrenzen (das geforderte Bildungsniveau war für sie zu hoch) und sagten das Studium ab.
  • Hermann Michel musste aus gesundheitlichen Gründen Leningrad noch vor Beginn des Studiums wieder verlassen.
  • Gerhard Schmeißer durchlief die Vorbereitungsperiode sehr erfolgreich (besonders im Erlernen der russischen Sprache), stieg 1953 sofort in das 4. Studienjahr ein und bestand ebenso erfolgreich bereits 1956 das Staatsexamen an der VMOLA. Der Sprung in ein höheres Studienjahr hatte allerdings zur Folge, daß Schmeißer zwei Lehrfächer nicht nachweisen konnte, die in der DDR bis zum Ende des 3. Studienjahres nicht gelesen wurden, an der VMOLA jedoch schon im einem früheren Studienjahr im Ausbildungsprogramm standen. Diese mußten durch ihn nach Rückkehr in die DDR dort nachgeholt werden.


Im Feldlager Krasnoje Selo
Das medizinische Studium dauerte 6 Jahre. Es begann für uns Studenten im September 1953 und endete im Juni 1959.
Die Gruppe bestand jetzt aus 6 Studenten (Hippe, Kallenbach, Kempf, Rehe, Rehwald, Schwarzer). Die Dienstgrade hatten sich nicht geändert. Während des gesamten Studiums gehörte noch ein albanischer Militärstudent zu unserer Gruppe. Während der Vorlesungen saßen wir überall immer in der ersten Reihe, um alles in Russisch möglichst gut verstehen zu können, wir waren damit aber auch immer unter Kontrolle.

Das Studium umfasste einen vollständigen medizinischen Studienplan (analog zu den zivilen medizinischen Bildungseinrichtungen) plus militärmedizinische Disziplinen (36 Examen und 19 Prüfungen oder Testate, darunter das auf OTMD ausgerichtete 3-wöchige Truppenpraktikum mit Ausbildung im Feldlager); insgesamt ein umfassenderes Medizinstudium als in der DDR an zivilen Bildungseinrichtungen, aber in etwa analog zu dem wie später an der Militärmedizinischen Sektion. Die Prüfungen wurden sofort nach Abschluss des jeweiligen Lehrfaches abgelegt, während das Staatsexamen nach Absolvierung des vollen Medizinstudiums, nach Ablegung aller Prüfungen ( Testate ) und Examen und nach Erfüllung des klinischen Praktikums in Innerer Medizin und Chirurgie mit Traumatologie zu je einem Semester nur noch aus 4 Examina bestand (Geschichte der KPdSU, Chirurgie und Feldchirurgie, Innere Medizin und Innere Militärmedizin, OTMD). Hinzu kam noch ein 4-wöchiges Truppenpraktikum in der DDR in Truppenteilen und Einheiten der NVA in der zweiten Hälfte des Studiums.

G. Rehwald, R. Schwarzer, W. Kempf, F. Hippe, Betreuerin, R. Rehe (von li.)
Während unseres Studiums kamen 4 weitere deutsche Studenten hinzu: die Leutnante Wilhelm Götzel, Kurt Hergert, Werner Krause und Edgar Steiner. Sie hatten bereits in der DDR das Medizinstudium begonnen und gelangten nach einem gemeinsamen Vorbereitungslehrgang in der DDR 1954 zu uns. Hergert und Steiner stiegen in das 3. Studienjahr ein, wurden 1956 zum Oberleutnant befördert und legten im Juni 1958 ihr Staatsexamen an der VMOLA erfolgreich ab. Götzel und Krause kamen zu Beginn des 2. Studienjahres in unsere Studentengruppe und wurden mit uns 1956 ebenfalls Oberleutnante.
Leider absolvierten nicht alle Studenten das Studium an der VMOLA in Leningrad bis zum Staatsexamen. Götzel, Kallenbach und Krause mußten im 5. Studienjahr aus disziplinarischen Gründen das Studium abbrechen und in die DDR zurückkehren.
Götzel übernahm nach Abschluss des Studiums an der MMS eine militärärztliche Aufgabe im medizinischen Dienst der NVA, während Kallenbach und Krause dieses Studienangebot ablehnten und das Medizinstudium an einer zivilen Bildungseinrichtung erfolgreich beendeten. Sie nahmen, so wie auch Michel, ihre ärztliche Tätigkeit im zivilen Bereich auf.
Nach dem Staatsexamen kehrten Hippe, Kempf, Rehe mit dem Dienstgrad Hauptmann, Rehwald und Schwarzer als Majore in die DDR zurück. Das Medizinstudium an der VMOLA endete mit dem Diplom als Arzt, die Approbation erteilte das Ministerium für Gesundheitswesen der DDR.
Abschließend zum Studium müssen noch drei außergewöhnliche Leistungen erwähnt werden. Wilfried Kempf war im Wissenschaftlichen Zirkel an der VMOLA tätig und bereitete sich in den letzten beiden Jahren in der Klinik mit Lehrstuhl für Feldchirurgie unter Leitung vom Oberst Prof. Dr. Berkutow auf seine Promotion zum Thema "Marknagelung von Unterschenkelschaftbrüchen" vor. Rolf Rehe konzipierte im 5. und 6. Studienjahr an der Klinik für Innere Militärmedizin unter Leitung von Oberst Prof. Dr. Iwanowski seine Promotionsarbeit in russischer Sprache als Ergebnis einer tierexperimentellen Arbeit zur akuten Strahlenkrankheit, während Rudolf Schwarzer seit dem 8. Semester sehr intensiv tierexperimentell in der Klinik mit Lehrstuhl für Feldchirurgie zum Therna " Die mechanische Blutgefäßnaht" gearbeitet und darüber ebenfalls eine Dissertationsschrift in russischer Sprache vorgelegt hat. Mit den ins Deutsche übersetzten Arbeiten promovierten alle drei Studenten erfolgreich 1959 (Schwarzer) bzw.1961 an der Karl-Marx-Universität Leipzig bzw. an der Humboldt-Universität zu Berlin (Kempf). Schwarzer schuf mit seiner Arbeit wichtige Voraussetzungen für seine spätere fachärztliche Ausbildung in der DDR.

Die Betreuung durch die Leitung der 5. Fakultät (Fahrt zum Ladogasee, Besuch einer Schokoladenfabrik, des Kriminalmuseums in Leningrad sowie die Nutzung der mannigfaltigen Möglichkeiten der Leningrader Kulturszene wie Theateraufführungen, Konzerte, Museen, Ausstellungen, Kinoveranstaltungen u.v.a.m.) stellten ein wichtiges kulturelles Gegengewicht zum anstrengenden Studium dar. Zudem heirateten 4 Studenten in dieser Zeit in Leningrad.
W. Krause, E. Kallenbach, W. Götzel, G. Rehwald, Chef der 3. Fakultät Garde-Oberst Dr. Polywjanow, E. Steiner, W. Kempf, F. Hippe, Polit-Stellvertreter der 3. Fakultät, R. Rehe, K. Hergert (von li.)