Mit diesem Befehl wurde dem Präsidenten der Deutschen Zentralverwaltung für Volksbildung, den Präsidenten der Länder und
den Bürgermeistern der Städte in der sowjetischen Besatzungszone die Verantwortung für die Vorbereitung der Wiederaufnahme
der Lehrtätigkeit und der Forschung der Universitäten und Hochschulen in der sowjetischen Zone übertragen. Diese Maßnahmen,
die als Erste Hochschulreform in die Geschichte eingegangen sind, umfassten Maßnahmen zur Entnazifizierung und zur Brechung
des bürgerlichen Bildungsprivilegs.
Die Entnazifizierung bedeutete, dass ausgewählte Personen und Bereiche überprüft und durch die SMAD bestätigt werden mussten.
Das betraf:
- die Leiter der Hochschulen, die Dekane, die Direktoren der Institute, der Verwaltungen und der Lehrstühle,
- die Zahl der für die Fakultäten zugelassenen Studenten,
- die Programme und Lehrpläne,
- die Pläne der wissenschaftliche Forschungsaufgaben,
- Personen, die aufgrund aktiver Tätigkeit im Sinne der faschistischen Ideologie belastet waren, wurde eine Tätigkeit an
den Universitäten
und Hochschulen verwehrt. Die Verwirklichung der Beschlüsse zur Wiederaufnahme des Studienbetriebes der
Universitäten wurde häufig
dadurch verzögert, dass den Forderungen nach Suspendierung nationalsozialistisch belasteter
Angehöriger der Universität, insbesondere
von Vertretern des Lehrkörpers, nicht immer mit der gebotenen Gründlichkeit nachgekommen wurde
(2).
Das betraf z. B. die Einsetzung des
ersten Rektors der Universität Rostock
(3). Im Verlaufe tiefer gehender Überprüfungen wurde festgestellt, dass seine Beziehungen
zu
nazistischen Institutionen als so belastend beurteilt wurden, dass die ursprüngliche Entscheidung zurück genommen und er aus seiner
Funktion als Rektor entlassen werden musste.Bald darauf verlegte er seinen Wohnsitz in eine andere Besatzungszone,
- Professoren und Dozenten, die dem antifaschistisch-demokratischen Aufbau in der SBZ loyal gegenüber standen, erhielten
einen Lehrauftrag.Für Entscheidung zugunsten von Personen genügte meistens die Tatsache, dass sie lediglich nominelles
Mitglied der
NSDAP waren
(4),
- Entrümpelung der Bibliotheken von faschistischem Gedankengut. Es wurde gefordert, derartige Literaturbestände auszusondern,
gesondert
zu lagern und der allgemeinen Verfügung zu entziehen. Zugang zu dieser Art Literatur musste begründet und beantragt
werden und
wurde erst nach Genehmigung des Antrags erteilt,
Um das bürgerliche Bildungsprivileg zu brechen, wurden an allen Universitäten neue Fakultäten mit unterschiedlichen Aufgaben
errichtet:
- 1946 wurden Vorstudienanstalten gegründet, um Voraussetzungen zur Aufnahme eines Hochschulstudiums für Personen zu
schaffen, die aufgrund sozialer Benachteiligung, politischer Verfolgung oder durch Kriegseinwirkung kein Studium aufnehmen konnten.
Aus
ihnen gingen 1949 die Arbeiter- und Bauernfakultäten hervor
(5).
Die ABF waren gleichberechtigte Fakultäten an den Universitäten der DDR. Die Studenten der ABF hatten die gleichen Rechte wie
Studenten anderer Fakultäten. Sie waren nicht nur bevorzugt den Bürgern aus der DDR vorbehalten, auch Studenten aus den westlichen
Zonen und aus anderen Ländern konnten in der DDR an der ABF die Hochschulreife erwerben
(6).
(7) hat der Arbeiter- und Bauernfakultät in seinem
Roman "Die Aula" ein bleibendes Denkmal gesetzt.
Zitat:
Da saßen sie andächtig auf den Polsterstühlen und hörten die Begrüßungsrede Seiner Magnifizenz.
Der Beifall war dünn und unsicher, umso stärker aber war der, den der nächste Redner entgegennehmen konnte:
Dr Mevius Völschow, der zukünftige Leiter der Fakultät, der Mann mit den Augen des Alten Fritz. Er hielt eine Rede, die den Atem verschlug und das Herz erwärmte. Er pries den Mut der jungen Leute, die zum Sturm auf eine Feste angetreten seien, eine Feste bewehrt mit Hochmut, Vorurteilen, Angst um bedrohte Privilegien, Aberglauben und Klassendünkel. Er geißelte den Widerstand ebenso wie die Skepsis; er zitierte Bekanntes wie Unbekanntes zur Sache, er höhnte
"Wir sind nicht reif.
Das Lied, das sie gesungen haben jahrhundertelang uns armen Waisenknaben"
und er verkündete:
"Des Geistes Licht, des Wissens Macht, dem ganzen Volke sei's gegeben!."
Bundesarchiv Bild 183-
R84290/CC-BY-SA 3.0
- zur finanzielle Unterstützung besonders bedürftiger Studenten wurden Stipendien gezahlt,im 1. Studienjahr 200 Mark,
im zweiten Studienjahr 330 Mark(8),
- für alle Studenten verbindliche Vorlesungen über Dialektischen und Historischen Materialismus sowie über Politische
Ökonomie wurden eingeführt,
- Gründung Pädagogischer Fakultäten(9) Gesellschaftswissenschaftlicher Fakultäten(10),
- die Universitäten wurden in staatliche Anstalten umgewandelt.
- Neueröffnung der Universitäten
Nachdem einzelne Anträge der ostdeutschen Landesbehörden zur Neueröffnung der Universitäten und Hochschulen von der SMAD wegen
nicht eingehaltener Forderungen wiederholt zurück gewiesen worden waren, erhielt die Friedrich-Schiller-Universität Jena am
15. Oktober 1945 als erste die Genehmigung zur Eröffnung ihrer Pforten für den Lehrbetrieb. Danach eröffneten die
Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin am 20. Januar, die Martin-Luther-Universität Halle/Wittenberg am 01. Februar, die
Bergakademie Freiberg am 08. Februar, die Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald am 15. Februar, die Universität Leipzig
am 21. Februar, die Universität Rostock am 25. Februar und die Technische Hochschule Dresden am 18. September 1946 ihre
Lehrtätigkeit.
In einer Rede zur Neueröffnung der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität-Universität(11) am 20.01.1946 forderte der
damalige Präsident der Deutschen Zentralverwaltung für Volksbildung, Paul Wandel, die anwesende Professorenschaft auf, nicht
nur Forscher und Lehrer, sondern auch Erzieher der jungen Generation zu sein.
"Das Interesse des Volkes erfordert von ihnen, dass sie unsere Hochschulen zu einem festen demokratischen Block machen. Wir wissen,
dass in Universitätskreisen oft abgelehnt wurde, Erziehungsaufgaben zu erfüllen. Man fand es für einen Universitätslehrer unangebracht,
als Erzieher zu wirken, weil es ihn als Forscher zu erniedrigen schien….Die Studenten zu der neuen demokratischen Intelligenz zu formen,
die unser Volk so notwendig braucht, kann aber nur das Ergebnis eines allseitigen Zusammenwirkens sein. Sie muss in erster Linie die
Arbeit von Menschen sein, die Autorität haben".
Das war eine deutliche Absage an das tradiditionelle, von Wilhelm von Humboldt geprägte bürgerlich-akademischen Bildungsideal,
wonach eine wissenschaftliche Bildung allein eine moralisch-erzieherische, persönlichkeitsbildende Wirkung besitzt. Die bitteren
Erfahrungen des II. Weltkrieges haben das nicht bestätigt. Viele Wissenschaftler waren der nazistischen Ideologie erlegen und
wurden Helfer bei der Verwirklichung einer menschenverachtenden Politik.
Die politischen Akteure, die nach dem Ende des II. Weltkrieges in der SBZ angetreten waren, ein neues, antifaschistisch-demokratisches
Deutschland aufzubauen, zogen daraus die Schlussfolgerung, dass eine Wiederholung des verhängnisvollen Weges der Deutschen, der zur
faschistischen ("nationalsozialistischen") Diktatur geführt hatte, zukünftig nur verhindert werden kann, wenn jede Form von Bildung
mit einer wissenschaftlich begründeten, politisch-moralischen Erziehung verbunden sein muß. Die "Einheit von Bildung und Erziehung"
wurde zum tragenden, bildungspolitischen Prinzip in der SBZ und der DDR. Diesen Forderungen gegenüber waren viele bürgerliche Professoren
skeptisch oder ablehnend eingestellt. Sie übten daher in politischer Hinsicht äußerste Zurückhaltung und warteten ab, wie sich die
politischen Verhältnisse in der SBZ entwickeln würden.(12)
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Quellen
(1) Befehl Nr.50 der Sowjetischen Militäradministration (SMAD) vom 04. Sept. 1946; Vorbereitung der Hochschulen auf den
Beginn des Unterrichts. Die SMAD übte in der
sowjetischen Zone bis zur Gründung der DDR die Regierungsgewalt aus. Ihre
Weisungen waren Grundlage für die Zusammenarbeit mit der Deutschen Zentralverwaltung
Volksbildung in der SBZ. Die offizielle Bezeichnung war Deutsche Zentralverwaltung für Volksbildung (DZVV), in der Praxis wurden für diese Behörde
unterschiedliche
Abkürzungen verwendet (DZfVB / DZVVB / DVV). Sie stand unter der Leitung von Paul Wandel. Auf der Ebene
der Länder trugen Verantwortung für die Volksbildung
Gottfried Grünberg für Mecklenburg, Fritz Rücker für Brandenburg,Otto Halle für Sachsen-Anhalt, Wilhelm Schneller für
Sachsen und Walter Wolf für Thüringen.
(2) Krause K, Alma mater lipsiensis. Geschichte der Universität Leipzig von 1409 bis zur Gegenwart; Leipziger Universitätsverlag 2003; S.309ff.
(3) Geschichte der Universität Rostock 1419-1969. Festschrift zur Fünfhundertfünzig-Jahrfeier der Universität, im Auftrag
des Rektors und des Wissenschaftlichen Rates,
Bd.II, Die Universität von 1945 bis 1969, S.43
(4) SMAD Befehl-Nr. 201; Zentralverordnungsblatt 1947, 54, Richtlinie zur Anweisung der Direktiven Nr.24 und 38 über die Entnazifizierung vom 16. August 1947
(5) Gründung der Vorstudienanstalten und der Arbeiter- und
Bauernfakultät,
Das Studium an der ABF führte zum Abitur und dauerte in der Regel 3, seltener 2 Jahre.
Mit der Einführung der Erweiterten Oberschule und der Berufsausbildung mit Abitur hatten diese Fakultäten ihre Funktion erfüllt
und wurden 1963 aufgelöst.
Davon ausgenommen waren die ABF der Universitäten Halle/Wittenberg und der Bergakademie Freiberg. In den Jahren bis zur
Auflösung wurden etwa 35.000 Studenten
bis zur Hochschulreife geführt. Der Schriftsteller Hermann Kant würdigte die Bedeutung
und die Leistung der ABF für die Heranführung an die Hochschulreife insbesondere
(6) Zeitzeugenbericht Christen, Helmut, 01. Dezember 2006 in Rostocker Studien zur Universitätsgeschichte Bd.1, Universität Rostock 2007
(7) Kant, Hermann
(8) Krause, K. 2003, S.334
(9) Gründung Pädagogischer Fakultäten,
(10) Gründung der Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät
(11) Die Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin wurde 1949 in Humboldt-Universität umbenannt.
Neueröffnung der Universitäten und Hochschulen in der SBZ: Jena (15.10.1945), Berlin (20.01.1946),
Halle-Wittenberg (01.02.1946), Leipzig (21.02.1946),
Greifswald (15.02.1946), Rostock (25.02.1946), Freiberg (08.02.1946), Dresden (18.09.1946)
(12) Krause, K. 2003, S. 316
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